Das war das einleitende
Gedicht aus der 1966 entstandenen Sammlung SAMOSPEVI von
Janko Jezovšek. Der Dichter will uns damit sicher nicht sagen, daß
er mit Worten nicht umzugehen weiß, Jezovšek hat schon immer gut
formulierte, wortschatz- und geistreiche Texte geschrieben. Hierbei
handelt es sich hauptsächlich um Kommentare, Erläuterungen und Analysen
eigener Kompositionen, oder um die teilweise festgelegten, später
extemporierten Szenarien seiner kabarettistischen Darbietungen.
Ein deutscher Kritiker meint: “Man hört bei Janko mehr von der deutschen
Sprache heraus, als man es gemeinhin gewohnt ist”.
Daß Jezovšek zunächst kaum absolute, rein instrumentale Musik
geschrieben hat hält ihn nicht davon ab, sich zu dieser Kunstgattung
zu bekennen. Seine Kunst ist also Musik. Allerdings eine Musik,
die ohne Worte undenkbar wäre. Fast sein ganzes Oevre ist aus einem
Wort-Ton-Verhältnis entstanden, wobei die Spannweite dieser wechselseitigen
Beziehung vom Naiven bis zum Widersinnigen reicht. Bezeichnenderweise
bedient er sich in seinen vokalen Werken hauptsächlich fremder Texte.
Das Entscheidende für die kreative Entwicklung des 1945 in
Maribor geborenen Janko Jezovšek waren, so meint er, die ersten
klanglichen Eindrücke und Erlebnisse seiner Kindheits- und Jugendjahre.
Neben der Gute-Nacht-singenden Mutter war vor allem das Radio die
wichtigste Quelle seiner Musikerfahrungen. Der slovenische Sender
Ljubljana brachte einfache Volks- und Blasmusik sowie viele Partisanenlieder.
Der Österreichische Rundfunk ergänzte diese “Einseitigkeit” mit
der “Wiener Andersartigkeit” der Sonntags- und Wunschkonzerte. In
Erinnerung blieb ihm über lange Zeit die sonntagmittags wiederholte
Ausstrahlung einer kaputten männlichen Stimme, die vergeblich versuchte
das Ave Maria richtig zu singen. Da er gegenüber der Domkirche in
Maribor wohnte, hörte er auch die
Klänge einer pneumatischen Orgel, zu welchen sich oft noch die Glocken
gesellten. Dies waren u.a. die Anregungen zu einer späteren Totenmesse.
Die ersten Kompositionsversuche fallen mit dem ersten Klavierunterricht
zusammen. Im Jahr 1959, anläßlich des 110. Todestages von France
Prešeren, komponierte der 14-jährige die Musik zu Prešerens Ballade
POVODNI MOŽ / DER WASSERMANN, es
wurde eine Art Melodram. Dafür bekam der junge Tondichter den
Prešeren-Schüler-Preis.
Da 1961 die Musikbiennale Zagreb gegründet wurde, zog es
Jezovšek dorthin und er wurde 1963 Schüler von Milko Kelemen an
der Musikakademie. Um sein Studium mitfinanzieren zu können leitete
er Laienchöre, spielte Orgel, korrepetierte beim Ballett und wirkte
musikalisch im Kabarett mit; alles Tätigkeiten, die ihn bis heute
in seinem Leben in irgendeiner Form begleiten. Gleich nach seiner
Ankunft in Zagreb schloss er sich dem kurz zuvor von Silvio Foretiæ
gegründeten ENSEMBLE FÜR ZEITGENÖSSISCHE MUSIK an. In knapp
2 Jahren veranstalteten die beiden Komponisten mehrere provokative,
happeningartige, oft skandalumwitterte Konzerte. Diese wurden bei
einem Kongress des kroatischen Kummunistenverbandes als gesellschaftsschädlich
getadelt, worauf der Dekan der Musikakademie seine widerspenstigen
Studenten mit einem schriftlichen Verweis bestrafen musste. Zum
Teil aus Notwendigkeit, zum Teil aus Spass, führten beide Komponisten
ihre Stücke unter verschiedenen Pseudonymen auf. Jezovšek benutzte
die Decknamen: Ivan Jezus, Hans Josef Scheck und Giovanni da Marcitta.
1965 verlies er Zagreb und ging nach Deutschland. Da er dem Kompositionsstudium
gegenüber mittlerweile skeptisch geworden war, ließ er zunächst
seine schöne Bass-Baritonstimme an der Frankfurter Musikhochschule
wiederausbilden. Später näherte er sich auf Umwegen wieder der Komposition,
indem er elektronische Musik in Köln studierte. Seinen Lebensunterhalt
verdiente er sich mit den bereits erwähnten, jetzt aber intensivierten
Tätigkeiten. Als musikalischer Mitarbeiter einiger Tanz- und Schauspieltruppen
reiste er viel in Europa und Amerika und komponierte mehrere Ballett-
und Bühnenmusiken. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen tritt
seitdem immer mehr in den Vordergrund seines Schaffens.
Jezovšeks Werke lassen sich in zwei größere Gruppen einteilen:
1) Projekte, die der Autor persönlich mit seinem OPERA
MOBILE genannten Ein-Mann-Unternehmen im europäischen, schwerpunktmäßig
deutschsprachigen Raum, Slovenien und Kroatien
präsentiert.
2) konzertante Stücke, vorwiegend Lieder. Dabei sind die
Grenzen fließend. So bedient sich Jezovšek bei vielen seiner szenischen
Darbietungen der bereits früher geschriebenen Lieder, während bei
einigen konzertanten Werken auch szenische Erweiterungen auftauchen.
Die Mehrzahl der Stücke aus der ersten Gruppe ist oft nur
ungefähr fixiert, sie werden teilweise improvisiert, wodurch der
Ablauf und das Gelingen der jeweiligen Aufführung von der augenblicklichen
Inspiration des agierenden Autors und des zum Mitwirken animierten
Publikums abhängen.
Die Werke der zweiten Gruppe kann man in solche von geistlichem
und solche mit weltlichem Inhalt unterteilen. Meiner Meinung nach
zählen einige der geistlichen Kompositionen Jezovšeks zum Originellsten
und Unmittelbarsten, das er geschrieben hat. Wenn man ihre Enstehung
chronologisch verfolgt, kann man eine interessante Entwicklung beobachten.
Am Anfang stehen zwei
jugendlich-prätentiöse, der Experimentierfreudigkeit der 60er Jahre
verpflichtete Arbeiten. Das 1964 geschriebene und 1965 unter dem
Pseudonym Ivan Jezus in Zagreb uraufgeführte REQUIEM sieht
eine beliebige, jedoch möglichst große und heterogene vokal-instrumentale
Besetzung vor. Zur Verfügung stehen eine große collagenartige Partitur,
ein paar spärliche Instrumentationshinweise, einige herkömmlich
aufgeschriebene Noten sowie einzelne Worte oder ganze Sätze aus
der Totenmesse in verschiedenen Sprachen, notiert in unterschiedlichen
Buchstabentypen und -grössen; eine graphische Partitur, eine
Art Augenmusik (A. Logothetis).
Noch im selben Jahr folgen 3 CHORÄLE für 4-stimmigen
Chor a cappella unter dem Pseudonym Giovanni da Marcitta. Diese
Stücke sind eigentlich nur wegen ihres Titels den geistlichen Werken
zuzuordnen, denn es gibt hier weder einen geistlichen noch überhaupt
einen semantisch sinnvollen Text. In der Partitur, in welcher im
Unterschied zum REQUIEM jeder Stimme ein geordnetes System zugeteilt
ist kommen ausschliesslich zusammenhanglose Lautgruppen vor, in
denen die Konsonanten überwiegen und ein entsprechend geräuschhaftes
Klangbild erzeugen. Die Stimmen werden also nur phonetisch eingesetzt;
man denkt an die “Ursonate” von Kurt Schwitters (1922/23). In einer
beigefügten Anmerkung heisst es: “Das Tempo, der Rhythmus, die Tonhöhe,
die Dynamik, die Klangfarbe und die Art des Singens wird der Intelligenz
und der Musikalität der Interpreten überlassen.”
In der Folge vereinfacht Jezovšek seine Musiksprache, oft
reduziert er sie bis zum Äußersten. In der Zeit von 1966 bis 1970
vertont er mehrere Bibeltexte, vorwiegend Psalmen, welche die durchsichtigsten
aller seiner Werke sind. Dazu meint er: “Ich lese in der Bibel;
einige Texte drücken sehr gut meine Gedanken aus, andere sagen mir
etwas Neues. Ich lese sie laut im Geiste - ich höre sie. Diese meine
Vorstellungen schreibe ich auf und gebe sie einem Sänger zum Vortrag.
Bei diesen Kompositionen handelt es sich um Gesang, der die Sprache
unterstützt ohne Rücksicht auf überlieferte melodische, rhythmische
oder metrische Gewohnheiten. Die Harmonie entfällt vollkommen. Ich
versuche eine einzelne Linie so zu führen, daß keine Begleitung
nötig ist. Ab und zu unterstreiche ich mit Instrumenten sparsam
die Metrik oder lasse kurz eine Begleitstimme erklingen”. Mitunter
stellt Jezovšek dem gesungenen Psalm einen
durch die Bibel inspirierten zeitgenössischen Text gegenüber. Ein
Beispiel aus dem KAMMERORATORIUM 38-517: während der Bassist
den 30. Psalm singt, rezitiert, zeitlich genau koordiniert, ein
Sprecher das stellenweise sich ziemlich derb anhörende Gedicht LIEBE
des polnischen Dichters Tadeusz Róžewicz, dabei koinzidieren einige
Reizworte. Beim Vokalpart bedient sich der Komponist der graphischen
Notation, die hier im Unterschied zum REQUIEM die gewünschte
Bewegung viel genauer wiedergibt. Die Position der Linien suggeriert
die Tonhöhe und die Gestalt der graphischen Zeichen die Länge, die
Dauer, das Volumen und die Lautstärke. An einigen wenigen Stellen
hört man einen kleinen Chor Hände klatschen oder Füße stampfen.
Nach dem emphatisch gesungenen Wort “Freude”, zu dem ein Akkordeon
kurz aufspielt, leitet das karikiert gesungene “Halleluja” zum 150.
Psalm ueber.
Noch monolithischer sind die PSALMEN 47, 13 und 150.
Im 47. PSALM (Schlagt froh in die Hände, alle Völker und
jauchzet Gott mit fröhlichem Schall), konzipiert für eine unbestimmte
Anzahl von Ausführenden, wird der natürliche Sprechrhythmus genau
notiert (skandierende Viertel und Halbe) und von drei Schlaginstrumenten
- Triangel, Tamburin, Gong - markiert; dagegen wird die Sprechgesang-Melodie,
die ohnehin bescheiden ausfallen soll, mittels einer einzigen Notenlinie
nur annähernd suggeriert. In den Psalmen 13 (Herr, wie lange willst
du mich so ganz vergessen?) und 150 (Lobet Gott in seinem Heiligtum)
wird sowohl die Tonhöhe als auch, ohne Taktstriche, die Dauer genau
notiert. Bei aller Sparsamkeit sind beide Psalmen sehr schwer zu
singen. Im PSALM 13 ist ein Ambitus von zweieinhalb Oktaven
erforderlich. Jezovšek komponierte den Psalm für eine Interpretin
mit diesem Stimmumfang.
Der Bassist, welcher den 150. PSALM singt, muß beinahe
ein absolutes Gehör haben, um die vielen, großen und schweren Intervallsprünge
zu bewältigen. An einigen wenigen Stellen wird die Stimme durch
ein Violoncello ergänzt, wobei das Instrument im Idealfall vom vortragenden
Sänger gespielt werden sollte. Noch schwieriger zu singen ist das
ausschliesslich fuer Bariton-Solo komponierte, von der Kanzel herab
zu singende DIE LIEBE 1.Korinther, 13 (Wenn ich in allen
Sprachen); diese Vertonung des Paulusbriefes ist, im Gegensatz zu
der von Johannes Brahms, eine vollständige. Diese Komposition gibt
es auch in einer Fassung fuer grosses Orchester, wobei die Instrumentalisten
nicht im klassischen Sinne begleiten oder kommentieren, sondern
die Aura der Stimme wiedergeben.
Das MAGNIFICAT für eine Solostimme mit Obligati, gewidmet
der inzwischen verstorbenen großen Dame der Neuen Musik Cathy Berberian,
stellt eine Mischung aus Graphik und mittelalterlicher Notation
dar. Jezovšek nennt sie neumatische Graphik. Das MAGNIFICAT
gibt es einer lateinischen und einer deutschen Version, gelegentlich
wurden sie auch simultan aufgeführt.
Nicht selten mußte Jezovšek erleben, daß seine kirchenmusikalischen
Gesänge als gotteslästerlich bezeichnet wurden. Begründung: “Es
wird zuerst sooo hoch und dann plötzlich sooo tief gesungen!” Jezovšek
meint, die Kirchenmusik wirke größtenteils wie ein Beruhigungsmittel
und sei zum Einschlummern da... Mir scheint es, daß Jezovšeks monodische
Schlichtheit und Strenge die Kirchenbesucher irritiert und abstößt,
weil sie zum genauen Hinhören zwingt und nicht nur die emotionalen
Beduerfnisse befriedigt. Dabei gehören diese Stücke unbedingt in
den Kirchenraum, nicht nur des Inhalts wegen, sondern weil der Komponist
die Kirchenakustik mitberücksichtigt hat; ähnlich wie in der Gregorianik
bildet der Nachhall eine Art von Begleitung.
In der ESPERANTO MESO (1967/68) für zweistimmigen
Chor und Orgel liess sich der Komponist inspirieren durch die Künstlichkeit
der Sprache, die ihm die Loslösung von den gewohnten Sinnzusammenhängen
ermöglichte. Jezovšek ist ein Meister der Einstimmigkeit, da für
ihn das Singen unmittelbare Mitteilung ist.
Und darum gerade geht es in den
1971 komponierten ARNOLDSHAINER CHORÄLEN, die im Laufe der
folgenden Jahre zu dem umfangreichen NEBELPSALTER (MEGLENI PSALTERIJ)
herangewachsen sind. Hier verwendet Jezovšek z.B. plakative engagierte
Texte von Lothar Zenetti. Sie werden rhythmisiert und zwar nach
berühmten Vorlagen. Nehmen wir gleich ein Beispiel. In der
UMLEITUNGSFUGE für 4 Stimmgruppen entsteht nach der 3-stimmigen
c-moll Fuge von J.S.Bach aus dem 1.Teil des “Wohltemperierten Klaviers”
eine rhythmisierte Sprache. Hinzu kommt noch eine 4. Stimme, die
in langen Silben einen quasi cantus firmus darstellt mit dem Text:
Kehrt um, denkt um, tut Buße, das Reich Gottes ist nahe! Die Besonderheit
dieser Choräle liegt in der Zusammenstellung. Es ist erstaunlich,
wie gut der Text zum Rhythmus passt. Es gibt noch mehr solche Beispiele
in den GES TOHLENEN GESÄNGEN, wobei auch slovenische Dichter,
wie z.B. Andrej Brvar vertreten sind.
Ein wichtiger Aspekt in Jezovšeks Wort-Ton-Beziehung ist
die intensive Arbeit mit Kindern, aus der eine Menge Ammenreime,
Liederszenen und Kinderopern resultieren. Ich möchte kurz auf zwei
Werke eingehen, in denen die Sprache elektronisch verarbeitet wird.
Es sind BALKANAL und CARMILHAN.
Im 1968 entstandenem synthetischen Volksoratorium BALKANAL
für Tonband und nicht obligate szenische Handlung, zusammen mit
Silvio Foretic komponiert, werden von mehreren Personen verschiedenartig
gesprochene Verwünschungen in kroatischer Sprache verwendet und
elektronisch verwandelt. Der Text ist zum Teil semantisch, zum Teil
synthetisch komplex in eine Metasprache verfremdet. Viele Volksinstrumentenklänge
reminiszieren die Farbigkeit einer unlängst vergangenen Zeit in
einer multiethnischen Region.
Von diesem, an Worten und Farbe reichen Werk, ein Sprung
in das Jahr 1975 zu der beim Steirischen Herbst in Graz uraufgeführten
elektronischen Oper CARMILHAN, nach einem Märchen von Wilhelm
Hauff. Der Komponist nennt sie eine “geatmete Oper”. Das Atmen und
die Sprache des einzigen Protagonisten sind durch ein vielfaches
Realisationsverfahren verarbeitet und quadrophonisch konzipiert.
Sowohl die Sprache, als auch das Szenische sind aufs Äußerste reduziert.
Wesentlich ist das Hören.
Lassen Sie mich mit einer dritten Kunst schließen. Jezovšek
ist ein begabter Zeichner. Zwischen Wort und Musik liegt bei ihm
das Zeichnerische. Die Zeichenkunst ist eine lineare Angelegenheit,
genauso wie das Sprechen und Singen.
---
© OPERA MOBILE D-63539 NEUBERG PF.1251 TEL. 06185/7507 FAX 06185/1711
eMail: operaMobile@compuserve.de
https://members.tripod.com/jankoj
|